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Die Frau ohne Eigenschaften

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Katharina Hackers buchpreisgekrönter Roman “Die Habenichtse” ist kein Spaziergang. Man merkt, daß die Autorin viel Schweiß, Mühe und Ausdauer hineingesteckt hat, denn die fallen einem entgegen, sobald man das Buch aufschlägt. Die Lektüre verlangt dem Leser einiges ab, und das soll es auch. Das hier ist eine gut dreihundert absatzarme Seiten lange Katharsis, und ohne die gibt es bekanntlich keine Erkenntnis. Fragt sich nur, welche Erkenntnis. Und ob es sich gelohnt hat, das weiß man leider auch immer erst hinterher.

Immerhin: Es gibt nicht nur eine Handlung, es gibt gleich ein ganzes Handlungsgeflecht. Im Zentrum stehen zwei hübsch langweilige Figuren, der Jurist Jakob und die Grafikerin Isabelle, die sich (nicht so ganz zufällig) nach langer Zeit auf einer Party wiederfinden. Zufällig ist aber gerade 11. September, und ans feiern ist natürlich nicht zu denken: Während man auf den Fernseher starrt, wo Türme kollabieren, nähern die beiden sich an. Bald heiraten sie, weil es gerade so gut paßt, und Jakob bekommt einen Job in London. Auch das paßt, Isabelle zieht mit in die wenig poshe Lady Margaret Road, hinter deren viktorianischen Fassaden sich unter anderem Kindesmißhandlung, Alkoholmißbrauch, Drogenmißbrauch, Tierquälerei, Medikamentenmißbrauch, Raub und sonstige Gewalttaten abspielen. Soweit die Ausgangssituation.

Während Isabelle zu Hause herumsitzt, sich als Kinderbuchillustratorin versucht und ihre Leidenschaft fürs Kochen entdeckt, verbringt ihr Gatte Jakob zunehmend mehr Zeit in der Kanzlei, wo er mit Restitutionsverfahren in der ehemaligen DDR betraut wird. Ein Grund für seinen Arbeitseifer ist die Illusion, nachträglich etwas Gerechtigkeit in die Geschichte zu bringen, der eigentliche Grund ist aber sein Chef Mr. Bentham, ein gealterter schwuler Jude, der über ein nicht unbeträchtliches Charisma verfügt.

Und genau da beginnt die Lektüre, von der Langeweile über völlige Humorbefreitheit ins wirklich Schmerzhafte überzugehen, denn dem Roman unterliegt eine mehr als fragwürdige Gesetzmäßigkeit: Je mehr Minderheitenstatus eine Figur aufweisen kann, desto lebendiger ist sie. Besonders lebendig sind Minderheitenangehörige, die auch noch ordentlich schicksalsgebeutelt sind. So richtig knackig ausgearbeitet ist eine Figur bei Hacker erst ab mindestens zwei Verlusten plus Exotenbonus: Ein schwuler Jude, dessen große Liebe verunglückt ist, ist natürlich interessanter als nur ein Jude. Am allerbesten wäre natürlich ein drogenabhängiger, behinderter schwuler Jude, aber den gibt es nicht. Es gibt nur den dealenden, verliebten, mißhandelten Working Class Hero Jim, in dessen Mördergrubenherz die tiefe Sehnsucht nach einem Kirschbaumgarten schlummert. Rauhe Schale und so. Und den ungarischen Juden Andras, der in Isabelle verliebt ist und der so eine balkanmäßige Traurigkeit mit sich herumschleppt, die daher rührt, daß seine Tante Sofie immer so schön Klavier gespielt hat und sein Onkel dann immer auf dem Sofa saß und weinte. Balkan halt. Tiefe Seele und so. Und Jude. Dann ist da noch Alistair aus der Kanzlei, aber der ist nur schwul, kein Jude, und deshalb auch nicht ganz so wichtig.

Jakob und Isabelle, die beiden Hauptfiguren, sind mittelmäßiger Mittelstand mit Altbauwohnung, Bodendielen, Biedermeierkommode und Espressomaschine – das volle Programm junger Verbürgerlichug. Aus lauter Langeweile bändelt Isabelle mit dem Kleinkriminllen von ebenan an, Jacob dagegen bemüht sich redlich, durch ein bißchen Verschwulung wieder Schwung in sein Sexualleben zu bringen. Doch vergeblich, zu sehr sitzt das Mittelmaß, die Sattheit, die Saturiertheit dem Paar im Nacken. Isabelles Gemüt kennt eben nur zwei Aggregatszustände: Fähig, sich Schuhe zu kaufen, und unfähig, sich Schuhe zu kaufen. Das Unglück um sie herum affektiert sie nicht, für andere Menschen als sich selbst interessiert sie sich nicht. Auch nicht für Tiere. Isabelle ist krankhaft gefühlskalt, und diese Krankheit soll nun als Symptom einer Generation verkauft werden: alle so leer und so satt und verwöhnt und nichts verloren und nichts gewonnen und nie für etwas gekämpft und nie vor Stalingrad gelegen – aus denen kann ja nichts werden.

Welche These liegt diesem Roman also zugrunde? Daß wer im Leben nicht mindestens ein mittelschweres Trauma durchleiden mußte, eigentlich gar kein richtiger Mensch ist? Daß Friedenszeiten Generationen von gefühlskalten, aber gutgekleideten Menschen hervorbringen, die sich vor lauter Langeweile an den nächstbesten Außenseiter klammern, der ihnen über den Weg läuft, um ihre unwürdige Existenz ein wenig aufzufrischen? Das ist doch nicht Ihr Ernst, Frau Hacker!

“Es ließ sich aber aus diesen Versatzstücken und Anekdoten keine wirkliche Geschichte machen, alle blieb seltsam matt” denkt Andras über Isabelles Durchschnittskindheit, und vermutlich verbirgt sich in diesem Satz auch das poetische Programm des Buches. Alles bleibt seltsam matt, minutiös werden Alltagsverrichtungen geschildert, Figuren tauschen gestelzte Sätze aus und verbringen ansonsten den Tag mit Spazierengehen, kochen, Müll rausbringen und abends noch einen Wein, ohne dabei einen einzigen Gedanken zu denken. “Was du so denkst”, wundert sich Alistair aus der Kanzlei über Isabelle, “was wohl in deinem Kopf vorgeht?” Das fragt man sich ja auch die ganze Zeit, aber über die Außensicht auf die Figuren geht die Autorin nicht hinaus. Alistair und die Leser müssen blöd sterben, ohne jemals zu erfahren, ob Isabelle nicht doch ab und an einen eigenständigen Gedanken wagt.

Was dabei herauskommt, sind gute dreihundert Seiten zähe Banalität. Eine Figur wie Isabelle hat in ihrer zugespitzten Eigenschaftslosigkeit eigentlich enormes satirisches Potential, leider aber ist sie in einem Roman eingesperrt, der nicht zu ihr paßt. Und der nach der langen Katharsis mit wenig Erkenntnis, immerhin aber mit der Erlösung aufwartet, diese langweiligen Menschen ihrem wohlverdienten Niedergang mit Altbau und Espressomaschine überlassen zu dürfen, ohne ihnen weiterhin dabei zuschauen zu müssen.

Die Habenichtse Katharina Hacker:
Die Habenichtse
Roman.
Suhrkamp-Verlag
308 Seiten, 17,80 Euro.

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